Neues Sparpaket im Gesundheitswesen
Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgelegte Sparpaket zum Ausgleich des Milliardendefizits in der gesetzlich Krankenversicherung (GKV) wurde Ende Juli 2022 vom Bundeskabinett gebilligt. Das sogenannte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sieht unter anderem die Streichung der Neupatientenregelung vor, die Lauterbach selbst bei ihrer Einführung im Mai 2019 begrüßt hatte. Er begründet die Streichung damit, dass sie nicht bewährt habe. Dem widersprechen einige Kassenärztliche Vereinigungen und Ärzteverbände. Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), stellt fest: „Der Minister behauptet, die Neupatientenregelung habe nichts gebracht. Das stimmt einfach nicht.“ Er verweist auf eine Auswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI). In einer Medieninformation vom 27. Juli 2022 heißt es, dass „mehr als jede:r vierte gesetzlich versicherte Patient:in von der Regelung begünstigt wurde: Im vierten Quartal 2021 wurden in den Praxen 20 Mio. Neupatient:innen behandelt“. Das sei ein Anstieg um zwölf Prozent gegenüber dem vierten Quartal 2019. Und nicht nur in diesem Punkt trifft Lauterbach nicht die Tatsachen. So behauptet er, dass es nicht möglich sei festzustellen, wer Neupatient/-in sei. Laut ZI sei das jedoch definiert: „Als ‚neu‘ gelten Patienten, die weder im aktuellen noch in den acht vorangegangenen Quartalen in der jeweiligen Praxis waren.“ Die Regelung wird zwei Jahre nach Gründung beziehungsweise Übernahme einer Praxis wirksam.
Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, kommentiert die Streichung wie folgt: „Die Maske ist gefallen. Karl Lauterbach will die Versorgung der Bürger einschränken. Dieses Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland. Und das müssen wir den Menschen auch so sagen.“
Weiterhin sieht das Sparpaket vor, dass Teile der in Krankenhäusern Beschäftigten nicht mehr im Pflegebudget berücksichtigt werden sollen. Damit werden den Krankenhäusern 375 Millionen Euro entzogen. Das werde für die Krankenhäuser und die Pflege zu enormen Problemen führen: „Im Extremfall würde dieses Gesetz dazu führen, dass bis zu 20.000 Arbeitsplätze gefährdet wären. Ein Wahnsinn angesichts des Personalmangels. Somit bleibt das politische Handeln des Ministers in diesem Stil absolut inakzeptabel. Zum einen erkennt er zwar die extremen wirtschaftlichen Belastungen der Krankenhäuser, treibt sie aber zum anderen weiter in finanzielle Probleme. Ihm ist natürlich die schwierige Lage auf dem Pflege-Arbeitsmarkt bewusst, trotzdem gefährdet er weiter den Personalbestand. Stattdessen sind entschiedene politische Schritte zum Personalaufbau und zur Entlastung notwendig, um den Personalmangel in der Pflege nachhaltig anzugehen“, meint Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Es ist damit zu rechnen, dass die Zusatzbeiträge steigen. Das IGES Institut geht von einer Steigerung „um etwa 0,4 Prozentpunkte“ aus.
Der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) kommt ebenfalls zu einem vernichtenden Urteil: „Die AOK-Gemeinschaft hält das Maßnahmenpaket insgesamt für vollkommen ungeeignet, die kurz- und mittelfristigen Finanzprobleme der GKV zu lösen. Zwar werde auf Leistungskürzungen und höhere Eigenbeteiligungen verzichtet, was besonders vulnerable Gruppen getroffen hätte. Aber die Hauptlast müssen die Beitragszahlenden tragen. ‚Das ist eine fundamentale Ungerechtigkeit gegenüber unserer Solidargemeinschaft und gefährdet die Funktionsfähigkeit der gesamten GKV‘, so Hoyer [stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands]. Über die Erhöhung der Zusatzbeiträge (4,8 Milliarden Euro), das fast vollständige Abschmelzen der verbliebenen Kassenrücklagen (4 Milliarden Euro), den weiteren Abbau der Liquiditätsreserve (2,4 Milliarden Euro) sowie die Aufnahme eines von den Beitragszahlenden zurückzuzahlenden Darlehens des Bundes (1 Milliarde) sollen auf der Einnahmeseite rund 12 Milliarden Euro zusätzlich generiert werden.“
In dem Gesetzentwurf nicht enthalten sind Maßnahmen, die tatsächlich zu einer Erhöhung der Einnahmen der GKV führen, so dass eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleistet werden könnte: die Beseitigung der Erlaubnis, im Gesundheitswesen Gewinne zu erzielen, die Abschaffung der Fallpauschalen, die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen.
Quellen
► Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
► GKV-Spargesetz: Bundeskabinett billigt Lauterbachs Entwurf (Deutsches Ärzteblatt)
► GKV-Finanzbedarf: Große Lücken drohen spätestens ab 2024 (IGES Institut)
► „Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten“ (KBV)
► Trotz Personalmangels gefährdet Lauterbach Arbeitsplätze in der Pflege (DKG)
► „Das Maßnahmenpaket destabilisiert die gesetzliche Krankenversicherung“ (AOK)