Stellungnahme der AG Gesundheit zu ihrer Beteiligung an der Kundgebung vom 5. Februar 2022

22. März 2022

Innerhalb von Attac und im Kreis des Hamburger Bündnisses gegen Rechts (HBgR) gibt es die Meinung, die Kundgebung am Jungfernstieg am 5. Februar 2022 sei „eine rechte Bewegung“ gewesen (https://twitter.com/antira_infohh; https://www.attac.de/startseite/teaser-detailansicht/news/stellungnahme-von-attac-deutschland).

Ein Gespräch mit dem Koordinierungskreis von Attac findet am 22. März 2022 statt.

Wir hatten das HBgR und interessierte Attac-Mitglieder zu einer Videokonferenz am 9. März 2022 eingeladen und vorgeschlagen, dabei folgende Punkte zu besprechen:

1. Auswertung der Kundgebung am Jungfernstieg am 5. Februar 2022.
2. Wir greifen die Absicht des HBgR auf: „Zusammen mit Gewerkschaften, demokratischen Initiativen aus dem Gesundheitsbereich und vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen tatsächliche solidarische Perspektiven diskutiert und durchgesetzt werden“ (https://www.keine-stimme-den-nazis.org/). Wir brauchen dringend eine politische Diskussion darüber, welche politischen Forderungen und Aktionen wir gemeinsam tragen könnten, und klären, wie wir offensiv mit der Situation umgehen, dass Rechtsextreme gleiche Themen wie wir aufgreifen und bei Aktionen der gesellschaftlichen Linken anwesend sind.

An der Videokonferenz am 9. März 2022 haben 15 Attac-Mitglieder und Interessierte teilgenommen, leider keine Vertreter des HBgR. Wir versuchen, ein Gespräch mit ihnen noch zu führen und haben sie dementprechend eingeladen. Bisher sind sie nicht darauf eingegangen.

A. Auswertung der Kundgebung am 5. Februar 2022

1. Die AG Gesundheit von Attac Hamburg hat an der Kundgebung teilgenommen,

– um in dem Prozess der Ausdifferenzierung innerhalb der Aktionen gegen Coronamaßnahmen in Hamburg diejenigen Kräfte zu unterstützen, deren Inhalte wir teilen,

– um die Beweggründe und Vorstellungen der Teilnehmenden zu erfahren und um eigene Positionen deutlich kundzutun und möglichst darüber mit den Teilnehmenden zu reden, dies mit dem Ziel, den Meinungsraum nicht den Rechten zu überlassen und dazu beizutragen, dass sich eine Bewegung für demokratische und soziale Ziele formiert.

Wir haben also das betrieben, was wesentlicher Bestandteil der Arbeit von Attac ist: Bildung und Aufklärung.

2. Im Kreis des HBgR gibt es die Meinung, die Kundgebung am Jungfernstieg am 5. Februar 2022 sei überhaupt „eine rechte Bewegung“ gewesen (https://twitter.com/antira_infohh).

Wir stellen fest: Die Anmoderation, der Beitrag einer wütenden und getäuschten Pflegerin, unser Beitrag, der Beitrag eines linken Gewerkschafters und der einer weiteren Rednerin zum Abschluss machten diese Kundgebung zu einer inhaltlich durchgehend demokratischen Meinungsbildung. Wir verweisen auf die Rede der AG Gesundheit (die viel Applaus bekommen hat) und die Website der Anmelderinnen: https://www.rathausdemo.de/. Damit wurde die Absicht unseres Eingreifens – ein Gegengewicht zu rechtsradikalen Positionen zu bilden und Perspektiven zu nennen – unserer Meinung nach erfolgreich umgesetzt.

3. Der Attac-Koordinierungskreis meint, dass „sich an dieser Versammlung auch zahlreiche Personen aus dem extrem rechten Spektrum beteiligt“ hätten.

Nach Auswertung der Kundgebung stellte auch dank eingehender Informationen die AG Gesundheit fest, dass Personen aus dem radikal rechten Spektrum teilgenommen hatten, obgleich ausdrücklich auf der Einladung zu lesen war, dass Rechte unerwünscht seien.

Nur:

– Die Formulierung „zahlreiche Personen“ lehnen wir als Tendenzformulierung ab. Ab wie viel Personen kann von „zahlreich“ gesprochen werden? Laut diverser E-Mails waren es 10 bis 20.

– Die Teilnahme dieser Rechtsextremen war nur für geschulte Menschen sichtbar (keine Transparente, nur 2 bis 3 Aufkleber, keine Reden und keine Rufe).

4. Zum Twitter-Text: „Transpi hält die extrem Rechte Ilona Dittmar der Partei ‚Deutsche Mitte‘.“ Und zum Kommentar: „Jaja, hier sind keine Nazis“.

Weitere 4 Personen haben das Banner getragen. Aus einer Person wird für alle geschlussfolgert:„Nazis“? Das wäre der Beginn einer Pogromstimmung. Der Banner-Text lautet: „Pflegekräfte stehen auf. Wir brechen das Schweigen. Pflege im Norden.“ Widerstand im Pflegebereich drückt sich aus. DAS war sichtbar, Ilona Dittmar war nur für speziell Geschulte zu erkennen.

5. In dem Zusammenhang halten wir es für unwissenschaftlich, aber auch beleidigend und verantwortungslos, die Menschen, die an Protestaktionen gegen Coronamaßnahmen teilnehmen, pauschal als Coronaleugner*innen, Impfgegner*innen, Schwurbler*innen oder Nazis zu beschimpfen.

6. Grundsätzlich halten wir es für unerlässlich, dass Attac und die gesellschaftliche Linke insgesamt zu verhindern versuchen, dass Menschen, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen, Angst vor sozialem Abstieg haben und ungeheuer wütend sind, weil sie sich von der Politik allein gelassen fühlen, dabei politisch bisher nicht oder wenig bewandert sind oder keine feste politische Orientierung haben, den Rechten in die Arme getrieben werden, dies infolge der aufseiten großer Teile des linken Spektrums – jedenfalls (nicht nur) unserer Einschätzung nach – seit fast zwei Jahren zu konstatierenden Untätigkeit und nahezu vorbehaltlosen Befürwortung der von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung oder Beendigung der Pandemie, die keineswegs durchweg als nachvollziehbar, angemessen oder konsistent bezeichnet werden können.

Natürlich bemüht sich der rechtsextreme politische Gegner propagandistisch darum, alle Aussagenfelder in der Öffentlichkeit zu besetzen. Auf diesem Gebiet haben auch wir als Attac eine politische und gesellschaftliche Verantwortung, die wir als AG Gesundheit versuchen wahrzunehmen.

7. Wir sollten in Zukunft für eine eigene mediale Dokumentation sorgen.

8. Es war ein Versäumnis, uns damit zu begnügen, dass nur auf dem auf die Kundgebung hinweisenden Foto ein Hinweis darauf enthalten war, dass Rechte ausgeschlossen sind, und nicht einen weiteren Hinweis darauf in unseren Einladungstext einzufügen. Dann stellt sich aber immer noch die Frage, was zu tun gewesen wäre, wenn sich trotzdem Rechte eingefunden hätten. Der Vorschlag, „kundige Personen als Ordner*innen zu bitten, den entsprechenden Personenkreis auf der Versammlung zu erkennen und ihn sofort auszuschließen“, beantwortet nicht die Frage, was die Ordner*innen tun sollen, wenn der genannte Personenkreis dem Ausschluss nicht Folge leistet. Als aktuelle brauchbares Vorgehen sehen wir eine lautstarke gewaltfreie inhaltliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremen, ohne Gewähr, dass sie dann weggehen.

9. Sich über die Teilnahme von AfDlern zu empören ist sehr legitim – nur sollte man als politischer Mensch die Frage stellen: Warum waren sie da?

Mögliche Beweggründe:
– Sie wollen den Anschluss an eine sich ausdifferenzierende Bewegung behalten.
– Sie wissen, welche Auseinandersetzungen es innerhalb der gesellschaftlichen Linken gibt. Ihr Erscheinen war eine gezielte Provokation („seht mal, da sind wieder Rechte dabei, also weg von dieser Kundgebung/Demo“), sie haben gehofft, dass wir uns streiten und damit lahmlegen, und haben damit zunächst Erfolg.

10. Fazit: Die Kritik des Koordinierungskreises von Attac beruht auf einer nicht gesicherten Faktenbasis und wir hoffen, dass eine Korrektur noch erfolgen kann.

11. Der Koordinierungskreis hat zeitlich parallel – am 8. Februar 2022 – einen Brief an die AG Gesundheit verschickt UND eine Erklärung auf der Website von Attac Deutschland veröffentlicht, hat also keine Zeit für einen dialogischen Klärungsprozess vorgesehen. Ebenfalls hat der Koordinierungskreis die Organisatorinnen der „Rathausdemo“ öffentlich kritisiert, ohne sie vorher angesprochen zu haben.

Es wäre wahrscheinlich viel Ärger und Energie gespart worden, wenn der Koordinierungskreis sofort ein Gespräch gesucht hatte.

Ein solches Verhalten widerspricht den Grundsätzen des zwischenmenschlichen Umgangs, ist nicht nur unsolidarisch gegenüber den Beteiligten, sondern schädigt das Ansehen von Attac (siehe zum Beispiel den Artikel unter https://www.heise.de/tp/features/Coronadebatte-bei-Attac-Der-Spaltervirus-6496454.html).

B. Solidarische Perspektiven miteinander besprechen

Wir möchten die Absicht des HBgR aufgreifen: „Zusammen mit Gewerkschaften, demokratischen Initiativen aus dem Gesundheitsbereich und vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen tatsächliche solidarische Perspektiven diskutiert und durchgesetzt werden“ (https://www.keine-stimme-den-nazis.org/). Wir brauchen dringend eine politische Diskussion darüber, welche politischen Forderungen und Aktionen wir gemeinsam tragen könnten, und klären, wie wir offensiv mit der Situation umgehen, dass Rechtsextreme gleiche Themen wie wir aufgreifen und bei Aktionen der gesellschaftlichen Linken anwesend sind.

Am 9. März 2022 gab es keine Zeit mehr, dies zu besprechen.

Unsere eigenen Aktivitäten

Unsere bisherigen Aktivitäten und Positionen sind hier dokumentiert: https://attac.hamburg/ag-gesundheit/.

In den nächsten Monaten werden wir unsere Aktivitäten nach folgenden Grundsätzen gestalten:

„Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, Einkommen, ein stabiles Öko-System, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit.“ (Aus der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation zur Gesundheitsförderung, 1986)

„Während umfassend über den Umgang mit der Corona-Pandemie debattiert wird, werden die Ursachen weitgehend ausgeblendet. Dabei ist der Versuch, die Bewältigung der Pandemie auf das Impfen zu beschränken, so, als würden höhere Deiche vor der Klimakrise retten.

Impfen ist wichtig, aber Zoonosen wie das Coronavirus verbreiten sich leichter, wenn natürliche Lebensräume zerstört werden.“ (Attac-Rundbrief 1/2022, Seite 1)

Zuletzt haben wir an einer Aktion für mehr Personal im Krankenhaus vor dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf teilgenommen und auf Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen den Flyer https://attac.hamburg/wp-content/uploads/2022/03/AG-Gesundheit-flyer-maerz-2022.pdf verteilt.

Wir beabsichtigen, uns mit weiteren öffentlichen Aktionen einzubringen, zum Beispiel am 7. April 2022 (Weltgesundheitstag: https://europe-health-network.net/spip.php?article350&lang=en), außerdem am 1. Mai und 12. Mai 2022 (Tag der Pflegenden), und zu einer öffentlichen Auswertung der bisherigen Coronamaßnahmen beizutragen.

Zum Schluss

Wir gehen davon aus, dass die Videokonferenz am 9. März 2022 nur ein Anfang sein kann, da viel aufzuarbeiten und zu klären ist. Es ist dringend, denn die gegenwärtigen Spaltungen innerhalb der gesellschaftlichen Linke wirken sich lähmend aus, sie nutzen nur den neoliberalen Kräften und den Rechtsextremen: „Die Krise der neoliberalen Hegemonie kann zur Entstehung neuer Monster führen. Sie kann auch unseren Emanzipationsbewegungen neuen Aufschwung verleihen.“ (Attac Frankreich: https://france.attac.org/attac/nos-textes-cles/article/le-rapport-d-orientation; Übersetzung: https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/bundesebene/SiG/sig_133.pdf, Seite 20)