Coronaimpfpflicht nützt der Wirtschaft, aber nicht den Vulnerablen

Geimpfte gefährden ihre Umgebung nicht – schützen unsere vulnerablen Mitmenschen. Das Übel sind die Ungeimpften. Derart wird immer noch argumentiert. Bundeskanzler Scholz sagte in der Bundespressekonferenz vom 7. Dezember 2021: „Denn darüber gibt es gar keinen Zweifel. Man kann das ganz konkret sehen. Das heute uns alle beeinträchtigende Infektionsgeschehen rührt von den Ungeimpften her.“ [1] Und darum müssten erst recht diejenigen, die in Krankenhäusern Kontakt zu Vulnerablen haben, geimpft sein.

Gesundheitsminister Lauterbach formulierte am 10. Dezember 2021 im Bundestag: „Eine solche Impfpflicht ist notwendig; denn am Ende des zweiten Jahres der Pandemie ist es in keiner Weise akzeptabel, dass in Einrichtungen, wo Menschen leben, die ihren Schutz uns anvertraut haben, dass dort noch unnötigerweise Menschen sterben, weil Ungeimpfte dort gearbeitet haben.“ [2] Gerade der wissenschaftlich voll ausgebildete und informierte Mediziner Prof. Dr. Lauterbach sollte wissen, dass diese Argumentationen wissenschaftlich mehrheitlich längst widerlegt ist. Auch Vollgeimpfte und Geboosterte sind Infektionsträger und können – nicht nur – Vulnerable infizieren. Das Argument, dass Geimpfte auch andere Menschen schützen und eine Impfung somit einen Akt der Solidarität darstellt, ist wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Hinzu kommt, dass die Einführung einer – einrichtungsbezogenen oder allgemeinen – Impfpflicht angesichts der unklaren Datenlage zu Impffolgeschäden in ethischer Hinsicht problematisch ist.

Ein weiteres Problem bei einer Impfpflicht ist die Unklarheit über die Schutzdauer und die Wirksamkeit der aktuellen Coronaimpfstoffe in Bezug auf Mutanten. Im Gegensatz zu Impfungen gegen Polio, Röteln oder Masern – die wir gutheißen – kann dazu bei den Coronaimpfungen keine Aussage gemacht werden. Selbst im Expertenrat der Regierung sind sich die Immunologen auch aus diesen Gründen hinsichtlich einer Impfpflicht nicht einig. Hinzu kommt, dass die Schwere der Erkrankung an der Omikron-Variante deutlich gemindert ist und zusätzlich vorliegende Medikamente die Notwendigkeit stationärer Versorgung im Krankenhaus überwiegend unnötig machen.

Für eine seriöse Diskussion über den Zusammenhang einer Impfung mit „Long Covid“ fehlt die Datenlage. Länger anhaltende Genesungsprozesse treten auch bei anderen Viruserkrankungen auf auf.

Volkswirtschaftlicher Nutzen der Impfpflicht

Wenn die geforderte Impfpflicht gesunden Menschen einen größtenteils auf die Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe beschränkten Eigennutz bietet und auch die am „Schutz der Vulnerablen“ festgemachte Fremdnützigkeit keine wissenschaftliche Grundlage hat, aber die Impfpflicht dennoch weiterhin gefordert wird, verbleibt als mögliche Begründung der wirtschaftliche Nutzen.

Nicht die Extraprofite der Pharmaindustrie stehen hier im Zentrum der Betrachtung, sondern das übergeordnete, gesundheitsökonomische Anliegen des bestehenden Systems: Reduktion der Arbeitsunfähigkeitstage der Beschäftigten.

Im Jahr 2019 entstanden insgesamt 712,2 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage. „Ausgehend von diesem Arbeitsunfähigkeitsvolumen schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt 88 Milliarden Euro bzw. den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 149 Milliarden Euro“. [3] Dabei liegt bei den Wirtschaftszweigen „Öffentliche und sonstige Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ die höchste durchschnittliche Zahl an Arbeitsunfähigkeitstagen pro Arbeitnehmer/-in vor: 21,3 Tage im Jahr 2019. [4]

Bei einer Coronaerkrankung kann davon ausgegangen werden, dass der Krankheitsverlauf durch Impfungen gemildert wird und weniger oder keine Arbeitsunfähigkeitstage entstehen. Durch die Impfpflicht ließe sich also das Volumen von Arbeitsunfähigkeit mindern. Auch die Reduktion der Quarantänezeit, Stunden des Arbeitsausfalls, lässt sich als wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme für das System begreifen.

Insbesondere in den systemrelevanten Strukturen finden wir Personalmängel, unzumutbaren Arbeitsdruck, unwürdige Arbeitsverhältnisse und unzureichende Vergütungen als krankmachende Umstände. Und in diesen Bereichen soll die Impfpflicht eingeführt werden – für das marode Gesundheitssystem eine beschlossene Sache.

Der Staat hat Schutzpflichten. Er muss das Leben und die Gesundheit seiner Bürger/-innen schützen. Statt sie vor den krankmachenden Arbeits- und Lebensbedingungen zu schützen, geschieht das Gegenteil: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit soll durch die Impfpflicht eingeschränkt werden.

Statt einer Coronaimpfpflicht fordern wir mehr Personal, würdige und qualifizierte Arbeitsverhältnisse, geringere Arbeitszeiten und angemessene höhere Vergütungen.

Wir fordern des Weiteren den Zugang zu allen von der Weltgesundheitsorganisation zugelassenen Coronaimpfstoffen und eine gleichwertige Anerkennung der Impfung mit diesen Impfstoffen.

[1] https://www.youtube.com/watch?v=V0P8Nt6wxi4.

[2] Plenarprotokoll, Seite 289: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20007.pdf.

[3] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2019, Seite 1: https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Arbeitsweltberichterstattung/Kosten-der-AU/pdf/Kosten-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=4.

[4] Siehe ebd., Seite 3.

Hier kann der Text als Flyer heruntergeladen werden.