Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 für Kinder: Wer hat den Nutzen?
In einem am 1. Dezember 2021 von der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ veröffentlichten Podcast sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Prof. Dr. Thomas Mertens, er würde angesichts fehlender Daten zur Verträglichkeit des Impfstoffes sein eigenes sieben Jahre altes Kind derzeit nicht gegen das Coronavirus impfen lassen.1
Die Wochenzeitung „Die Zeit“ vermeldet dazu passend am 4. Dezember 2021, dass Hamburg angesichts eines eher mangelnden Interesses der Kinderärzte an Coronaschutzimpfungen für Fünf- bis Elfjährige eigene Kinderimpfzentren einrichten wolle. Nach Angabe der Gesundheitssenatorin Leonhard lautet die Begründung der Kinderärzte wie folgt: „Der medizinische Nutzen ist überschaubar bei dieser Altersgruppe und es gibt sehr viel wichtigere kinderärztliche Tätigkeiten, die priorisiert gemacht werden müssten, insbesondere in den durch die Erkältungssaison ohnehin belasteten Kinderarztpraxen.“2
Zu den aktuell vordringlichen Aufgaben dürfte gehören, die infolge der Kontaktbeschränkungen und der Lockdowns bei Kindern vermehrt auftretenden Infektionen mit dem im Vergleich zu SARS-CoV-2 für Kinder deutlich gefährlicheren Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) in den an Personalmangel leidenden Kinderkliniken in den Griff zu bekommen.3
Laut einer bereits im Jahr 2019 im Ärzteblatt publizierten Mitteilung4 ergab eine Fall-Kontroll-Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zehn Erreger für die meisten Pneumonien bei Kindern unter sechs Jahren verantwortlich sind, wobei weltweit jeder achte Todesfall von Kindern in den ersten fünf Lebensjahren auf Pneumonien zurückzuführen sei. Der häufigste Erreger und damit der wichtigste Kandidat für neue Impfstoffe war das RSV.
Uns liegen leider keine Daten vor, ob die in Deutschland jetzt schwer erkrankten Kinder überwiegend in ärmeren Verhältnissen leben. Allerdings ist alarmierend, dass die sozialen Kontaktbeschränkungen für Kinder im Gefolge der Coronapandemie sich in einer Mangelausbildung ihres Immunsystems ausgewirkt haben. Persönliche Immunisierung vollzieht sich im Schwarm und braucht quasi „tägliches Training“.
Wie gefährlich ist Covid-19 für Kinder und Jugendliche?
Nach Angabe des Vorsitzenden der STIKO hätten Untersuchungen zur Krankheitslast der Kinder ergeben, dass diese außerordentlich gering sei. Langzeitschäden bei Kindern in der jungen Altersgruppe seien bislang ebenfalls kaum bekannt. Am 13. Juni 2021 äußerte sich der STIKO-Vorsitzende zum Versterbensrisiko in der Altersgruppe der Zwölf- bis Siebzehnjährigen wie folgt: „Für gesunde Kinder und Jugendliche der Altersgruppe ist das Risiko an Covid-19 zu sterben derzeit rein statistisch gleich null.“5 Laut einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) vom 25. November 2021 ist die primäre Krankheitslast in der Altersgruppe der fünf- bis elfjährigen Kinder durch schwere Erkrankungen unverändert sehr gering.6
Der Kinderepidemiologe Prof. Dr. Rüdiger von Kries, zugleich Mitglied der STIKO, verweist darauf, dass bei jüngeren Kindern schwere Covid-Erkrankungen besonders selten gewesen seien. „Bei den gesunden Fünf- bis Elfjährigen habe weniger als ein Kind auf 50.000 Infizierte wegen Corona intensivmedizinisch behandelt werden müssen, erläuterte der Leiter der Abteilung für Epidemiologie im Kindes- und Jugendalter der Ludwig-Maximilians-Universität München.“7
Wie sinnvoll sind Coronaschutzimpfungen bei Kindern und Jugendlichen?
Der präventivmedizinische Nutzen einer Impfung von Kindern und Jugendlichen gegen SARS-CoV-2 zu deren Selbstschutz ist als gering zu bewerten, da gemäß Aussage des STIKO-Vorsitzenden Coronainfektionen bei Kindern in der Regel harmlos verliefen und darüber hinaus Langzeitschäden bei Kindern in der jungen Altersgruppe bislang ebenfalls kaum bekannt seien.
Im Unterschied zu bewährten Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln bewirken die neuartigen genbasierten Impfstoffe gegen Coronaviren auch keine sterile Immunität bzw. verhindern sie nicht die Übertragung von Krankheitserregern. „In welchem Maß die Impfung die Übertragung des Virus reduziert, kann“ nach Angabe des Robert-Koch-Instituts (Stand 2. Dezember 2021) „derzeit nicht genau quantifiziert werden“8.
Nach Ansicht des Virologen Prof. Alexander S. Kekulé sind die häufigen Impfdurchbrüche ein „Beweis dafür, dass das vielfach beschworene ‚Herausimpfen aus der Pandemie‘, die Heilsbotschaft einer baldigen ‚Herdenimmunität‘ und die radikale ‚NoCovid‘-Strategie nichts als Utopien waren“9.
Demnach erübrigt sich auch das Narrativ, wonach die Impfung von Kindern zur Erzeugung einer „Herdenimmunität“ der Gesellschaft erforderlich sei. Laut Mitteilung der DGPI ist die Annahme, dass die Impfung bei jungen Kindern einen anhaltenden Einfluss auf die Übertragungsrate des Virus nehme, unbestätigt. Auch die Argumentation, wonach eine generelle Kinderimpfung ein notwendiger Schutz ungeimpfter Erwachsener sei, lässt der Kinderepidemiologe Prof. Dr. von Kries nicht gelten. Für Erwachsene gebe es ausreichend Coronaimpfstoffe mit einer eindeutig positiven Nutzen-Risiko-Bilanz: „Gesunde Kinder, die von der Impfung selber kaum profitieren, einem derzeit noch unklaren Impfrisiko auszusetzen, ist ethisch kaum vertretbar.“10
Laut Deutschlandfunk sagte der Leiter der Kinder- und Jugendklinik am Universitätsklinikum Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Prof. Jörg Dötsch: „Wir widersprechen strikt einer Auffassung, dass Kinder sich impfen lassen sollen oder müssen, um die Gesellschaft zu schützen. Das ist nicht akzeptabel. Kinder sind Schutzbefohlene. Wir haben die Aufgabe, darauf zu achten, dass den Kindern dieser Schutz zuteil kommt. Das heißt, wenn wir Impfungen empfehlen, an die Kinder, dann nur, weil das Kind höchstwahrscheinlich dadurch einen höheren Nutzen als eine Gefahr hat.“11
Nach aktuellem Kenntnisstand kann davon ausgegangen werden, dass das Virus endemisch wird. Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 als Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod ist sinnvoll bei den inzwischen hinlänglich bekannten Risikogruppen, zu denen gesunde Kinder und Jugendliche nicht zählen. Eine Impfung von Kindern ist aus medizinischer Sicht dann angezeigt, wenn im Einzelfall, beispielsweise aufgrund von Vorerkrankungen, der Nutzen für das Kind auf Grundlage einer individuellen Risikoabschätzung durch den Arzt größer ist als das mögliche Impfrisiko.
In diesem Zusammenhang spricht sich die STIKO „ausdrücklich dagegen aus, dass bei Kindern und Jugendlichen eine Impfung zur Voraussetzung sozialer Teilhabe gemacht wird“.12
Wie sicher ist die Verabreichung von genbasierten Impfstoffen an Kinder?
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat den Coronaimpfstoff BNT162b2 der Herstellerfirma Biontech/Pfizer für Kinder ab fünf Jahren in Europa zugelassen. Gemäß der von Herstellerseite durchgeführten Zulassungsstudie wurde der Impfstoff 1517 Kindern verabreicht, wobei nach Herstellerangabe bei den fünf- bis elfjährigen Probanden keine impfstoffbedingten schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse festgestellt worden seien. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung lag der Median der Nachbeobachtungszeit nach Herstellerangabe bei 2,3 Monaten, wobei zu den Einschränkungen der Zulassungsstudie das Fehlen einer längerfristigen Nachbeobachtung gehöre, um die Dauer der Immunantwort, die Wirksamkeit und die Sicherheit beurteilen zu können. Eine längerfristige, über zwei Jahre andauernde Nachbeobachtung sollte hierzu nach Angabe von Biontech/Pfizer Klarheit schaffen. Die Studie sei auch nicht daraufhin ausgerichtet gewesen, potenzielle seltene Nebenwirkungen bei Fünf- bis Elfjährigen zu erkennen.13
Es geht bei den genbasierten Vakzinen bzw. mRNA-Impfstoffen um eine neuartige Technologie, bei der die Möglichkeit eines Rückgriffs auf breit gestreute analoge Erfahrungen mit Impfstoffen gegen andere Erkrankungen nicht gegeben ist. Die Impfstoffhersteller haben sich auch deshalb vertraglich dahingehend abgesichert, dass sie selbst im Fall von Impfschäden nicht haften müssen und die Vertragsstaaten die Kosten hierfür übernehmen.
Vor diesem Hintergrund ist auch die eingangs zitierte Skepsis des STIKO-Vorsitzenden Prof. Dr. Mertens und dessen Hinweis auf eine unzureichende Datenlage zu verstehen.
Der Kinderepidemiologe Prof. Dr. Rüdiger von Kries sagt in diesem Zusammenhang: „Ein verantwortlich entscheidendes Beratungsgremium – die STIKO – kann derzeit, bei noch fehlenden Daten zu seltenen Impfrisiken, die generelle Impfung für gesunde Kinder in dieser Altersgruppe noch nicht empfehlen. Leider fordern dies einige polternde Politiker mit dem Anspruch, es besser zu wissen.“ Prof. Dr. von Kries verweist auch darauf, dass Kinder seit Ausbruch der Pandemie durch die einschneidenden Beschränkungen bereits Schaden erlitten hätten. „Mit der Forderung einer sofortigen generellen Impfempfehlung für fünf- bis elfjährige Kinder – ohne dass eine verantwortliche Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgt ist – kann weiterer Schaden für Kinder nicht ausgeschlossen werden.“14
Demnach müsste bei der Impfung von Kindern viel vorsichtiger und viel zurückhaltender agiert werden, als es Politiker im Moment von den Behörden fordern. Aus den zitierten Aussagen der STIKO- Mitglieder kann gefolgert werden, dass Kinder im Zusammenhang mit der Frage der Übertragung von Coronaviren aus wissenschaftlicher Sicht offenbar eine von Anfang an untergeordnete, politisch aber von Anfang an überbewertete Rolle spielen.
Was brauchen Kinder und Jugendliche tatsächlich?
Lehrerinnen und Lehrer in Bayern beobachten nach Angabe des Bayerischen Rundfunks mit Sorge, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Pandemie verändert haben. Kinder und Jugendliche wissen infolge der verordneten Einschränkungen offenbar nicht mehr, wie miteinander reden und lernen geht. Sie haben ihre soziale Kompetenz verloren. Andernorts dürfte die Diagnose vermutlich ähnlich ausfallen.15
Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität München weist darauf hin, dass die Zahl der Notfälle seit Wochen enorm zugenommen habe. Die jungen Patientinnen und Patienten hätten wenig Hoffnung für ihre Zukunft. „Das hätten sie in der Pandemie gelernt: ‚Sie wurden nicht gehört, standen nicht im Fokus des Interesses, im Gegenteil. Vieles mussten die jungen Menschen ausbaden […]. Wenn ein Kind dann keine Ressourcen habe, keine Unterstützung erfahre, zum Beispiel in der Familie, dann ginge es den Kindern und Jugendlichen wirklich schlecht […].“16
Die vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf initiierte COPSY-Studie (COPSY = Corona und Psyche), in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Auswirkungen und Folgen der Coronapandemie auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland untersucht haben, kommt im Rahmen einer zweiten Befragung im Jahr 2021 zu dem Ergebnis, dass sich die Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Verlauf der Coronapandemie im Vergleich zur Erstbefragung im Jahr 2020 weiter verschlechtert hat. Danach leidet ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie fast jedes dritte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste haben noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten. Erneut sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen.17
In der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums vom Mai 2021 heißt es:
„Wie durch ein Brennglas zeigt die Covid-19-Pandemie die Brüchigkeit der Infrastrukturen in Kindheit und Jugend, insbesondere für junge Menschen in prekären Lebenslagen, auf. Nach Ansicht des Bundesjugendkuratoriums bedarf es gerade jetzt einer nachhaltigen inklusiven kinder- und jugendgerechten Krisenpolitik auf Basis der Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte junger Menschen, wie sie in der UN-Kinderrechtekonvention formuliert sind. Das Bundesjugendkuratorium betont die Dringlichkeit, zielgerichtet notwendige sozial- und bildungspolitische Regulationen vorzunehmen, die systematisch und breit mit jungen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Lebenslagen und -konstellationen gemeinsam ausgestaltet werden. Dafür sind neben dem Infektionsschutz auch die soziale, emotionale und mentale Gesundheit junger Menschen in den Blick zu nehmen. Um Bildungs- und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen sowie Beteiligungsrechte zu verankern, müssen krisenfeste Bedingungen und diskriminierungsfreie Zugänge zu Infrastrukturen entwickelt werden, die sich an den konkreten Bedarfen junger Menschen orientieren und besonders junge Menschen in prekären Lebenslagen erreichen.“18
Mittels einer Impfung von Kindern und Jugendlichen sind diese Ziele wohl kaum zu erreichen.
2 https://www.zeit.de/news/2021-12/04/hamburg-richtet-spezielle-kinderimpfzentren-ein
3 https://www.tagesschau.de/inland/atemwegserkrankungen-kinder-101.html
4 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/104277/RS-Virus-der-haeufigste
5 https://taz.de/Stiko-Chef-zu-Debatte-um-Kinderimpfung/!5774779/
6 https://dgpi.de/sarscov2-impfung-bei-5-bis-11-jaerigen-kindern/
11 https://www.deutschlandfunk.de/corona-und-kinder-kontroverse-um-impfungen-fuer-die-100.html
12 https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/PM_2021-08-16.html
13 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2116298
15 https://www.br.de/nachrichten/bayern/verloren-durch-corona-soziale-kompetenz-von-kindern,SlFIDOH
18 https://bundesjugendkuratorium.de/presse/kindheit-und-jugend-in-zeiten-von-corona.html
Siehe auch COVID-19-Impfung unter 12 Jahren: Die Impfentscheidung für Kinder soll wohl individuell bleiben (Deutsches Ärzteblatt)