Wir sind Menschen

Von Angela Müller

Mariana Santos (Botschafterin von Europeans for Humanity) interviewt Yousif Al Shewaili (irakischer Fotojournalist und Filmemacher)

Im Folgenden möchte ich Yousif Al Shewailis Arbeit vorstellen, so wie seine Erfahrungen im Moria Camp auf Lesbos und seine Ansichten. Ich denke, es ist wertvoll, jemandem zuzuhören, der diese humanitäre und Politische Katastrophe am eigenen Leib erfahren hat. Einige Teile des Interviews habe ich wegen der Länge des Textes weggelassen oder gekürzt. Yousif gab mir seine Zustimmung zur Veröffentlichung des Interviews.

Das vollständige Interview und die Fotos sind zu finden auf facebook.com

Yousif

Yousif , 21 Jahre alt, war Fotograf im Irak. Mit 18 Jahren kam er nach Lesbos , in das Camp Moria. Wie alle erlebte er diesen Ort als Hölle. Er hatte dort unsägliche Schwierigkeiten zu bewältigen.  Yousif fing an, das Leben der Bewohner von Moria zu dokumentieren.

Durch die Arbeit auf einer Olivenfarm konnte er sich seine erste Kamera kaufen. Er möchte der Welt zeigen, dass Geflüchtete Menschen sind , die in Sicherheit  leben wollen, die Ziele und Träume haben wie wir alle. Als seine besondere Aufgabe empfindet er es , Fotos von Menschen zu machen, um ihre Geschichten zu erzählen. Diese Arbeit liebt er über alles.

Er geht zu den Menschen, spricht mit ihnen, schreibt auf, was sie fühlen, denken, was sie tun wollen, warum sie im Camp sind, was sie dort erleben. Manchmal zaubert er den Menschen ein Lächeln ins Gesicht, weil sie jemanden finden, der ihnen zuhört.

Ein kleines Mädchen trägt ein Papier mit der Aufschrift: „We are human.“

„Ich machte dieses Bild im September, nach dem Feuer im Moria Camp, als die Leute auf der Straße leben mussten, als sie alles verloren hatten. Sie hatten nichts zu essen, kein Wasser, keine Toiletten, sie wussten nicht, was passieren würde, was die Zukunft bringen würde. Das Einzige, was sie wussten, war: Wir sind Menschen.

Ich habe diesen kleinen, schönen Engel getroffen, Mariam, die dieses Papier hält, auf dem steht: Wir sind Menschen. Wir haben alles verloren, aber wir haben noch unsere Menschlichkeit. Auch unter den schlechtesten Bedingungen sind wir Menschen.

Ich möchte ein bisschen über dieses Mädchen erzählen, Mariam. Sie kommt aus Syrien. Das syrische Regime entführte ihre Mutter und ihren Vater, sie musste mit ihrem Großvater und ihrem 10 jährigen Bruder leben. Eines Tages gab es eine Explosion, ein Flugzeug warf Bomben ab, das Haus stürzte ein und sie verlor ihren Großvater vor ihren Augen. Ihre Eltern wurden freigelassen.

Sie gingen mit den Kindern nach Lesbos, um einer weiteren Gefangennahme zu entgehen. Die ganze Familie wurde an der türkischen Grenze von der Polizei geschlagen. Miriam hat viele Probleme, sie spricht nicht mehr mit Fremden, nur mit ihrer Familie. Viele versuchen, ihr zu helfen, aber sie müsste in einem besseren Ort leben, um zu genesen.

Sie war gerade im neuen Camp hingefallen und hat sich verletzt, denn der Boden hier ist sehr hart.“

 Drei Jungen im Regen unter einer Plane

„Das war im alten Camp. Drei Kinder, die eine Plane halten. Sie spielen damit, laufen damit herum. Sie stellen sich vor, sie seien Spiderman, Batman. Ich fragte sie, warum sie nicht Schutz vor dem Regen suchten, sie würden noch krank werden. Sie sagten, nein, wir werden nicht krank, lass uns im Regen spielen.

Sie wollten den Regen genießen. Ich stand da und machte dieses Foto. Sie waren sehr glücklich. Es sind zwei Brüder aus Nigeria und ein syrisches Kind. Das hat sie nicht interessiert. Sie wussten nur, sie sind Kinder, die gemeinsam unter der Plane spielten. Auf der Wand hinter ihnen steht das Wort „Hölle“ auf arabisch.

Und so sollten wir sein ! Dieselben Menschen, die auf demselben Planeten leben, die dasselbe Leben haben und die sich miteinander freuen.“

Über die Volunteers auf Lesbos

„Zuerst: Ich schätze alle Volunteers, die hierherkommen, um zu helfen. Aber es gibt auch Probleme: Manche Volunteers kommen für eine Woche, einen Monat, vielleicht zwei Monate. Aber das ist nicht genug, um die Situation zu verstehen und den besten Weg der Hilfe zu finden. In dieser Situation zu handeln ist etwas anderes als in einer normalen Situation zu handeln. Es gibt  Volunteers, die auch kommen, um hier Ferien zu machen. Einige machen nur Fotos und schreiben „ Wir sind hier und helfen Flüchtlingen“

Das macht uns viel aus. Sie kommen hierher, sie kennen die Situation nicht, sie wissen nicht, was sie tun können. Sie tun ihr Bestes, aber letztendlich machen sie viele, große Fehler. Nur die Ärzte, die für einen Tag kommen, können etwas verbessern.

Der Rest der Volunteers sollte für ein Jahr hierbleiben, um die Menschen und deren Bedürfnisse besser zu verstehen, sodass sie wirklich etwas tun können, um zu helfen. Sie könnten mehr tun als Pakete zu bewegen.

Ich möchte noch etwas erwähnen. Das Problem kommt von den NGOs selber, nicht von den Volunteers. Die NGOs sind dafür verantwortlich.“

Zu den Lebensbedingungen im Camp unter Covid 19
Zelt in Kara Tepe auf regendurchweichtem Boden

„Es ist wirklich schrecklich jetzt. Es gibt keinen sicheren Platz im Camp. Die Menschen stellen sich in der Schlange an, um Essen zu bekommen Auch, wenn sie zum Arzt gehen, stehen sie in einer Schlange.. Es sind Tausende, es gibt keinen Abstand zwischen ihnen. Sie  benutzen dieselben Toiletten, es gab zuerst keine Duschen.

Jetzt gibt es einige, du kannst einmal in der Woche duschen, 15 Minuten mit An- und Ausziehen.Und wenn du positiv getestet wurdest, dann bringen sie dich in die Quarantäne Station, ohne warme Kleidung, ohne alles. Du darfst nichts aus deinem Zelt mitnehmen.

Das macht die Leute verrückt. Es gibt Covid im Camp. Wenn einige es haben, geben sie es weiter an die Kinder, an  Freunde, an alle um sie herum. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Aus dem Camp herauszugehen, um etwas einzukaufen, ist mit dem Lockdown sehr schwierig.

Es ist ein Gefängnis. Sie sperren dich mit einem Mörder ( Covid) ein, so fühlen sie sich jetzt. Die Menschen können sich nicht schützen.“

Wie können die Menschen für ihre Rechte kämpfen?

„Unglücklicherweise können die Menschen nicht protestieren. Die Polizei ist äußerst gewalttätig. Es ist fast unmöglich, ins Internet zu kommen. Mit all den Problemen, die sie haben, können sie nicht an Protest denken. Sie wollen nur ihre Kinder schützen. Sie laufen und laufen, um Essen und Wasser zu bekommen.

Es gibt Militär im Camp. Wenn irgendjemand etwas tut, wird er geschlagen, er wird verschwinden. Viele Menschen sind verschwunden, niemand weiß, wohin sie gingen. Es kann sein, dass sie deportiert wurden oder ins Gefängnis mussten. Die Leute können ihr Leben nicht aufs Spiel setzen.

Sie können nicht kämpfen. Aber sie kämpfen darum zu überleben, ihre Hoffnung aufrecht zu halten. Sie glauben an die Menschen außerhalb des Camps, die ihnen gern helfen würden, an die Menschen, die Appelle an ihre Regierungen schicken, die protestieren.

Wie können wir für die Rechte der Flüchtlinge kämpfen?

„Botschaften an die Regierungen senden, Informationen verbreiten, protestieren ist das Wichtigste. Das letzte ist Spenden. Die Spenden halten das Camp und einige der Organisationen aufrecht .Die Spenden machen die Jobs möglich. Und die Hölle wird nie enden… Ihr habt das getan, was ihr tun konntet. Damit solltet ihr fortfahren.

Bis jetzt weiß ich nicht, was ihr mehr tun solltet.“

Wie können junge Leute geschützt werden?

„Zuerst will ich über mich sprechen, dann über die anderen jungen Leute. Viele Bewohner von Lesbos haben mir gedroht. Die Polizei störte mich bei meiner Arbeit im Camp. Wenn ich weiterhin Fotos im Camp machte,  drohten sie mir, mich in den Irak abzuschieben. Vor einigen Tagen nahmen sie mich vor meinem Haus fest ohne Grund. In der Polizeiwache behaupteten sie, ich hätte einen Polizisten geschlagen. Ich schlug niemanden.

Gestern wurde einer im Camp geschlagen, er wollte etwas für sich und seine Freunde einkaufen. An einem anderen Tag wurde ein anderer geschlagen, die Polizei nahm ihn mit und er verschwand. Niemand hier ist geschützt. Die alleinstehenden Männer werden besonders schlecht behandelt.“

Zu den psychischen Problemen der Campbewohner/innen

„Stell dir vor, du bist vor dem Krieg geflüchtet, du hast deine Familie verloren. Du hast vielleicht Teile deines Körpers verloren. Dann entscheidest du dich zu überleben und machst diese lange Reise. Du versteckst dich, überwindest Mauern, Stacheldraht, du rennst vor der Polizei weg, die Seereise, der Tod.

Dann kommst du an mit vielen Träumen, dem Traum, endlich frei zu sein, endlich wieder zu leben. Und du siehst dieses Camp. Es gibt dort nichts zu tun, es ist überhaupt nicht sicher, es gibt keine Bildung. Sie stoßen dich in den Abgrund. Abhängig davon, wie stark du bist wirst du ein Opfer. Im Camp sterben viele Leute jeden Tag, psychisch. Wir bräuchten viele Psychologen.

Das IRC ( international rescue comittee ) hat ein Kinderschutzprogramm. Ich nahm an dem Programm teil, das war eine tolle Aufgabe. Wir haben mit den Kindern gesprochen und gesehen, dass etwas geschehen war. Ein Kind von 9 Jahren sieht aus wie ein Kind von 5 Jahren. Diese Zeit der Reise ließ nicht zu, dass sie wuchsen, sie blieben stehen.

In dieser Umgebung können sie nicht aufwachsen. Sie leben an einem Ort ohne Farben, ohne Spiele, ohne Aktivitäten. Sie vermissen ihre Eltern, die ständig rennen müssen, um irgendetwas zu bekommen. Du hast das Gefühl, die Kinder sind nicht richtig da, nur physisch, irgendwo sind sie stecken geblieben. Immer, wenn du die Kinder bittest, etwas zu malen, dann zeichnen sie das Meer, zerstörte Häuser, Flugzeuge.

Die Erwachsenen wollten ihre Kinder beschützen und am Ende haben sie die Kinder zu einem noch schlechteren Platz gebracht… Mit einer Menge von Ablehnungen was ihren Asylantrag angeht, denken sie schließlich, dass es überhaupt keine Hoffnung mehr gibt. Was ist, wenn sie in die Türkei deportiert werden, danach nach Syrien, sie werden tot sein! Allein wenn du darüber nachdenkst, wird das dich innerlich töten und du wirst viele psychische Probleme haben. Aber wir unterstützen uns auch gegenseitig. 

Manchmal vergessen wir, dass wir Flüchtlinge sind. Wir machen Späße, wir laden Leute  aus einem anderen Zelt zum Essen ein. In den letzten Monaten organisierten Bewohner Wettkämpfe mit gemischten Teams. Das ist wunderbar, wenn die Menschen das tun, was sie lieben. Unicef hat ein kleines Zelt im Camp, das sie Schule nennen. Den Kindern werden  dort  für ein bis zwei Tage pro Woche irgendwelche Aktivitäten angeboten.

Es gab auch Flüchtlinge, die anderen etwas beibrachten. Aber das dürfen sie nicht mehr.“

Zu den Relocation-Programmen

„Wir hörten, Deutschland würde 1200 Menschen aufnehmen. Als ich mit dem IRC arbeitete, hatten wir die Möglichkeit, 20 Familien mit den verletztlichsten Kindern zu registrieren. Vor drei Wochen sollten sie gehen, aber sie sind immer noch da. Deutschland gab sein Versprechen vor 2 bis 3 Monaten. Bis jetzt sind weniger als 400 Menschen in Deutschland angekommen. Außer dieser Sache gibt es keine Relocations.“

Was wäre eine Lösung für die Flüchtlinge ?

Schließt die Camps! Wir brauchen nicht mehr Masken, nicht mehr Organisationen, auch nicht mehr Volunteers, Zelte und Toiletten. Gebt mir eine Schule. Lasst mich die Sprache lernen.  Gebt mir ein faires Interview, nicht so wie jetzt in 5 Minuten …

Macht es möglich, dass ich eine Steuernummer bekomme. Und ich werde euch zeigen, was ich alles tun kann. Ich werde arbeiten und eine Wohnung mieten. Natürlich brauche ich Asyl hier, denn ich kann nicht in mein Land zurückgehen. Ich kann alles selbst tun, ich bin ein normaler Mensch. Warum gebt ihr mir keine Krankenversicherung ? Viele Leute gehen zu den NGO`s und bitten dort um Medikamente.

Und die  NGO sagt: Sorry, wir haben die Medikamente nicht. Geh und stirb …“ Wir brauchen nur einfache, kleine Dinge.

Zu den NGOs

Yousif stellte Fragen an einige NGO`s. Er berichtete von fragwürdigen  Dingen, die er erlebt hat. ( nachzulesen im Interview ) Thomas Osten Sacken , der auch in Moria gearbeitet hat , bestätigt seine Aussagen.

www.facebook.com/thomas.ostensacken

Es stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass die Zustände im Lager so katastrophal waren und sind, wenn Millionen von Spendengeldern geflossen sind. Yousif hat die Insel Lesbos verlassen, weil er bedroht wurde und sich nicht sicher fühlte.

Das ist seine zweite Flucht, diesmal innerhalb Europas, das ihm Schutz gewähren sollte.