Zur Lage der Geflüchteten in Griechenland

Ein Beitrag unserer Aktivistin Angela

Mein Bericht bezieht sich auf die Situation der Geflüchteten auf Lesbos und in Athen. Die Situation in den weiteren Lagern auf Samos, Chios und Leros ist ähnlich katastrophal. Der Nachrichtenwert von Moria 2 liegt bei null. Menschliches Leid ist nur nachrichtenwürdig, wenn es einen großen Zwischenfall gibt (Ausbruch des Feuers in Moria 1).

Nach dem Brand des alten Lagers Moria 1 lebten 12.000 Menschen auf der Straße. Mitglieder von NGOs wurden daran gehindert, die Menschen zu versorgen. Bei einer Protestdemonstration der Geflüchteten („Wir wollen Freiheit“) ging die Polizei mit Tränengas gegen die Geflüchteten vor. Die Menschen wurden gezwungen, in das neue Lager Moria 2 zu ziehen, indem man ihnen sagte, sonst würde ihr Asylantrag nicht bearbeitet. Ungefähr 7.000 Menschen gingen so in das neue Lager. Das neue Lager wurde in aller Eile aufgebaut und gilt als Provisorium. Der Mietvertrag gilt aber bis 2025, dies lässt Zweifel an dieser Behauptung aufkommen.

Yousif Al Shewaili (irakischer Flüchtling)

„Ich wünschte, ich könnte euch gute Nachrichten bringen. Ich könnte euch erzählen, dass die Dinge sich neuen Moria 2 Camp sich geändert hätten. Ich würde euch gern erzählen, dass das Camp jetzt endlich mit Duschen ausgestattet ist, mit wenigstens lauwarmem Wasser und dass die Bewohner sich nicht länger im eiskalten Meerwasser waschen müssen oder mit dem Liter Trinkwasser, der täglich verteilt wird. Ich würde euch gern erzählen, dass alle Zelte mit Elektrizität ausgestattet wurden, so dass jeder zu jeder Zeit seine Liebsten benachrichtigen oder Musik hören kann. Ich würde euch gern erzählen, dass alle Bewohner genügend warme Kleidung hätten und dass sie nicht mehr in der Nacht vor Kälte zittern müssten. Ich würde euch gern erzählen, dass die Bewohner nicht stundenlang im Wind warten müssen, aneinandergeklebt ohne Distanz, um eine Mahlzeit zu erhalten, die sie nicht satt macht. Ich würde euch gern erzählen, dass der Spielplatz der Kinder nicht ein Feld mit Gewehrkugeln, Steinen und Dreck wäre. Ich würde euch gern sagen, dass alle jungen Leute in die Schule gehen. Ich würde euch gern sagen, dass sie alle noch Hoffnung haben. Ich würde euch all dies gern sagen, aber die Wirklichkeit ist das vollständige Gegenteil.“

Das neue Lager Moria 2 liegt direkt am Meer und ist der kalten und feuchten Witterung und den starken Winden dort ausgesetzt. Die Menschen haben Angst, dass die Zelte wegen des Windes wegwehen könnten. Es handelt sich um Sommerzelte, die keinen Schutz vor Kälte bieten. Es gibt keine Holzpaletten auf dem Boden, sodass der Regen ungehindert in die Zelte fließen konnte. Es gibt eine Mahlzeit am Tag. In den Zelten, die für eine Familie gedacht sind, leben mehrere Familien. Alleinstehende Männer leben in Zelten mit 150 bis 200 Menschen.

Zum Lockdown in Moria 2

Es gibt keine angemessenen Maßnahmen gegen Covid-19, stattdessen strikte Regeln und drakonische Maßnahmen. Die Bewohner dürfen das Lager nicht verlassen, außer bei dringendem medizinischem Bedarf. Wenn die Regeln nicht eingehalten werden, zum Beispiel Alkohol getrunken wurde, werden die Bewohner rausgeschmissen und ihre finanzielle Unterstützung wird gestoppt (70 € monatlich für Alleinstehende). Dazu kommt eine kollektive Bestrafung, die Elektrizität für einen ganzen Abschnitt wird gesperrt. Moria 2 ist zu einer „Black Box“ geworden.


Es gibt keinen freien Internetzugang für die Bewohner, Fotografieren im Camp ist verboten, die Polizei beobachtet alles. Journalisten haben keinen Zugang. Wenn sie in die Nähe des Camps kommen, werden sie schikaniert und eingeschüchtert. Damit werden die Bewohner isoliert und Berichte über ihre Situation erschwert.

Das Areal

Das Areal des neuen Lagers ist ein ehemaliger militärischer Schießübungsplatz. Das Gelände wurde nur oberflächlich gesäubert, es ist kontaminiert mit Bleisäure, Quecksilber, Uran und Bleistaub, was langfristig schwerste gesundheitliche Schäden verursachen kann. Die Kinder können beim Spielen Schrapnelle und Munition finden. Diese Dinge wurden veröffentlicht, die Behörden wurden gewarnt, aber es gab keine Reaktion.

Zur psychischen Gesundheit der Bewohner

Ein großes Problem in Moria 2 ist die schlechte psychische Verfassung der Bewohner. Viele von ihnen waren schon traumatisiert, als sie in Griechenland ankamen (Krieg, Zwang, ihre Heimat verlassen zu müssen, Gewalt an den Grenzen, lebensgefährliche Überfahrt nach Griechenland). Das Leben in Moria 1, die Ereignisse nach dem Brand, die Brutalität der Polizei, der Mangel an Nahrung und Wasser haben viele Menschen retraumatisiert. In den Camps selbst sind die Menschen einer besonderen Form von Gewalt ausgesetzt. Diese Gewalt erzeugt einen Verlust an Würde, Selbstbestimmung und Freiheit. Die Geflüchteten werden gezwungen, unter unmenschlichen Bedingungen zu leben, sie sind eingeschlossen, sie können keine autonomen Schritte machen. Sie müssen auf die Entscheidungen eines Asylsystems warten, das ihnen willkürlich und intransparent erscheint. Dazu kommen Ungewissheit und Angst vor Ablehnung des Asylantrags und Abschiebung. Viele leiden an Depressionen, Teenager verletzen sich, haben Selbstmordabsichten.

Yousif al Shewaili:

„Ich kämpfe jeden Tag, um mich aufrecht zu halten. Manchmal schließt sich mein Geist und löscht alle Erinnerungen der letzten Jahre. Ich fühle mich dann vollkommen leer und zerbrochen. Ich muss dann langsam die Teile meines Gedächtnisses wieder zusammensetzen.“

Hilfsorganisationen und Helfer/-innen

Eine Delegation der Linksfraktion des EU-Parlaments und Abgeordnete aus verschiedenen Ländern berichteten: NGOs haben kaum Möglichkeiten, mit den Menschen im Lager zu reden. Juristische Hilfe ist nicht vorhanden. NGOs werden unter Druck gesetzt, ihre Registrierung wurde verschärft. Mark Schwarz von „Cars of Hope“ berichtet: „Menschen, die versuchen, Geflüchtete mit Lebensmitteln und Wasser zu unterstützen, bekommen Geldstrafen und werden von Polizisten auf Motorrädern gejagt.“

Pikpa Camp

Das Camp Pikpa war ein sicheres und würdevolles Zuhause für besonders Schutzbedürftige und Traumatisierte. Die Menschen lebten in ehemaligen Ferienhäuschen, sie konnten sich mit ihren jeweiligen Fähigkeiten beteiligen (Arbeit in der Küche, im Garten usw.). Es gab eine gute medizinische Versorgung und eine Unterstützung für Traumatisierte. Das Camp wurde geräumt. Die Schutzsuchenden wurden nach Moria 2 verlegt. Sie dürfen nicht länger gut behandelt werden.

Rassismus im Krankenhaus

Der Arzt Gerhard Trabert, der auf Lesbos gearbeitet hat, berichtet von einer offen rassistischen Behandlung der Geflüchteten. Bei Verletzungen und Erstbehandlungen gibt es keine Schmerzmittel, es gibt keine Krücken bei Knochenbrüchen und keinen Fahrdienst. Die Kranken müssen zu Fuß wieder ins Lager gehen. Beim Tod von Angehörigen gibt es eine kurze Mitteilung auf dem Gang, es ist kein Abschied möglich. Ständig sterben Geflüchtete, doch die Behörden verheimlichen die Zahlen.

Die Verschwundenen

Nach dem Brand von Moria 1 sind viele Menschen verschwunden. 12.000 Menschen wurden obdachlos, ungefähr 7.000 gingen in das neue Camp. Was geschah mit den übrigen 5.000? Einige unbegleitete Minderjährige wurden ausgeflogen, andere von ihnen so wie Anerkannte und Schutzbedürftige wurden auf das Festland verlegt. Aber das waren nicht 5.000 Menschen. Vermutlich leben einige von ihnen in den Überresten des alten Moria oder in den umliegenden Wäldern ohne Schutz, Nahrung und medizinische Versorgung.

Geflüchtete in Athen

Viele Menschen, deren Asylantrag anerkannt wurde, leben in Athen im Freien auf dem Viktoria-Platz. Sie mussten nach ihrer Anerkennung die Lager verlassen. Es gibt keine ärztliche Versorgung, kein Essen, kein Wasser, keine Unterbringung. Wenn sie in Athen ankommen, erhalten sie 60 € Startgeld, weitere Hilfen gibt es nicht. Notis Mitarakis, Migrationsminister: „Wer anerkannt ist, soll sich wie jeder griechische Bürger selbst um Unterhalt und Obdach kümmern.“ Theoretisch gibt es Sozialleistungen, Leistungen des Gesundheitssystems und Unterbringung. Aber dafür werden Dokumente benötigt, die die Menschen nicht beschaffen können. Sie brauchen eine Steueridentifikationsnummer, für die der Nachweis eines Wohnsitzes nötig ist.

FAZIT

DIE EU UND DIE GRIECHISCHE REGIERUNG HABEN SICH VON EINER POLITIK, DIE MENSCHLICHES LEBEN SCHÜTZT, VERABSCHIEDET:
GEFLÜCHTETE SIND OHNE RECHTE. SIE WERDEN ERNIEDRIGT UND GEBROCHEN. IHR LEBEN STEHT AUF DEM SPIEL: ÜBER DIE POLITIK DER AUSGRENZUNG HINAUS GIBT ES EINE AKTIVE POLITIK DES TODES. ES GEHT UM EIN POLITISCH ORGANISIERTES MENSCHENRECHTSVERBRECHEN.

Quellen und weiterführende Links:
Mare Librum, Pro Asyl
Arzt Gerhard Trabert und andere
https://kampagnesolidarischestadthamburg.noblogs.org/
https://www.fluechtlingsrat-hamburg.de/
http://seebruecke-hamburg.de/
https://griechenlandsoli.com/