Vor der Mehrwertsteuersenkung sind alle gleich – aber manche sind gleicher!
Die Absenkung der Mehrwertsteuer für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 soll den Konsum der Bevölkerung anregen. Die erwartete Minderung der Mehrwertsteuereinnahmen um 20 Milliarden Euro (siehe Pressekonferenz der Bundesregierung vom 3. Juni 2020) entspricht einem „Geschenk“ von im Durchschnitt rund 240 Euro pro Person. Dabei bleibt leider unberücksichtigt, dass gerade der Bevölkerungsanteil mit „schmalem Geldbeutel“ wenig davon profitieren wird.
Wie viel Ersparnis beziehungsweise zusätzliche Kaufkraft kann man bei monatlichen Konsumausgaben von 500 Euro im Vergleich zu 5.000 oder gar 50.000 Euro erreichen?
Wenn die Mehrwertsteuersenkung wirklich an die Verbraucher/-innen weitergegeben wird, dann zahlt jemand zum Beispiel statt 119 Euro (100 Euro netto plus 19 % Mehrwertsteuer) nur noch 116 Euro (100 netto plus 16 % Mehrwertsteuer), also 3 Euro weniger, beziehungsweise statt 107 Euro (100 Euro netto plus 7 % Mehrwertsteuer) nur noch 105 Euro (100 netto plus 5 % Mehrwertsteuer), also 2 Euro weniger. Hartz-IV-Beziehende können sich über maximal nicht einmal 10 Euro im Monat freuen. Den vielen Beziehenden einer kleinen Rente, Menschen mit niedrigen Löhnen beziehungsweise in Kurzarbeit geht es ähnlich.
Wer nun dieses „Geschenk“ voll in Anspruch zu nehmen in der Lage ist und das auch tun wollte, müsste in Bezug auf den normalen Mehrwertsteuersatz von Juli bis Dezember 2020 etwa 9.520 Euro für Einkäufe ausgeben, also knapp 1.600 Euro im Monat, und in Bezug auf den verminderten Mehrwertsteuersatz etwa 12.840 Euro, also 2.140 Euro im Monat, und das zusätzlich zum Beispiel zur Miete.
Wie vielen Menschen in Deutschland (Kinder und Rentner/-innen inbegriffen) stehen solche Summen pro Monat zur Verfügung?
Die Menschen, die in den letzten Monaten mit Applaus und lobenden Worten statt mit besseren Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen bedacht wurden, also Pflegekräfte oder Beschäftigte im Einzelhandel, können davon nur träumen, andere ebenso. Das beweist ein Blick auf einige aktuelle monatliche Durchschnittslöhne. Sie betragen für Altenpflegekräfte 2.340 Euro, für Krankenpflegekräfte 2.590 Euro, für Hebammen 2.620 Euro, für Physiotherapeuten/Physiotherapeutinnen 2.070 Euro, für Kassierer/-innen im Einzelhandel 1.750 Euro, für Kellner/-innen 1.680 Euro, für Rechtsanwaltsfachangestellte 1.820 Euro, für Verwaltungsfachangestellte 2.720 Euro, für Busfahrer/-innen 2.200 Euro, für Paketzusteller/-innen 2.102 Euro – brutto, wohlgemerkt (Quelle: Jobted).
Wir lehnen die Mehrwertsteuersenkung als angebliche Unterstützung der „Bedürftigen“ ab, da sie hauptsächlich ein „Geschenk“ für Betuchte ist. Die 20 Milliarden Euro wären besser für eine Zahlung von 100 Euro pro Monat an die real „Bedürftigen“, also Menschen mit geringem Einkommen und Beziehenden von Grundsicherung und Arbeitslosengeld, verwendet worden.
Im Zusammenhang mit einer notwendigen sozial-ökologischen Transformation lehnen wir das unreflektierte Hochfahren des Konsums ab. Diese Mehrwertsteuersenkung für Besserverdienende kann zum Beispiel als indirekte Prämie für den Kauf von Autos mit Verbrennungsmotoren fungieren, was sie zu einer weiteren Subventionierung der Autoindustrie macht.