Corona und die Lage der Geflüchteten
Die Corona-Lehre
Quarantänehäuser sprießen,
Ärzte, Betten überall,
Forscher forschen, Gelder fließen –
Politik mit Überschall.
Also hat sie klargestellt:
Wenn sie will, dann kann die Welt.
Also will sie nicht beenden
das Krepieren in den Kriegen,
das Verrecken vor den Stränden
und dass Kinder schreiend liegen
in den Zelten, zitternd, nass.
Also will sie. Alles das.
Thomas Gsella
Während wir hier über sozialen Abstand, Händewaschen usw. reden, leben auf den griechischen Inseln Lesbos, Samos, Kos, Leros, Chios 40.000 Menschen zusammengepfercht und unter unsäglichen Bedingungen in völlig überfüllten Lagern. An Händewaschen und sozialen Abstand ist nicht zu denken. In einigen Teilen von Moria auf Lesbos gibt es einen Wasserhahn für 1300 Menschen und keine Seife. Familien mit 5 oder 6 Personen schlafen in Räumen von 3 m2. Die Menschen könnten schon bald der Krankheit Corona ausgeliefert sein. Dazu Ärzte ohne Grenzen: „Es wäre unmöglich, einen Ausbruch von Corona in den Lagern einzudämmen. […] Ein Notfallplan ist nicht in Sicht.“
Das griechische Krankensystem ist in keiner Weise in der Lage, bei einem Ausbruch der Krankheit die medizinische Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen. Ein Massensterben könnte die Folge sein. Anstatt die Lager aufzulösen, hat die griechische Regierung beschlossen, sie abzusperren. Besucher und Mitglieder von Organisationen dürfen das Lager nicht mehr betreten. Spezielle Aktivitäten wie Schulen für die Kinder, Bücherhallen und Sport werden eingestellt. Die Menschen werden davon abgehalten, das Lager zu verlassen oder sich im Lager zu bewegen.
Es gibt unzählige Appelle, die Lager zu räumen. Aber die EU verstopft sich die Ohren und riegelt verstärkt ab. Weiterhin sollen 1600 unbegleitete Kinder und Jugendliche geholt werden, die geringe Zahl würde keine Entlastung bringen und es ist unklar, wann dies geschehen soll.
Und dies geschieht an der griechisch-türkischen Grenze: Das passive Sterbenlassen an den Außengrenzen hat sich zu einer Politik des aktiven Tötens gewandelt. Es sind einige Tausend Menschen, die an der Grenze einen Asylantrag stellen möchten. Doch die griechische Regierung hat das Asylrecht ausgesetzt. Schutzsuchende werden mit Tränengas beschossen, zusammengeschlagen und illegal über die Grenze geschoben. Mehrere Menschen wurden erschossen. Im Meer werden Fliehende von der griechischen Küstenwache attackiert. Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen und der Präsident des Rats reisten vor kurzem nach Griechenland, um die Härte der Grenzsicherung und die Abwehr von Flüchtlingen zu rühmen.
Deutschland hätte die Mittel, 60.000 bis 70.000 Menschen aufzunehmen, schreibt Raphael Markert in der Süddeutschen Zeitung am 13. März 2020. Die Erstaufnahmeeinrichtungen haben 25.000 Plätze, 40.000 weitere Plätze könnten die Bundesländer bereitstellen. Aber gebetsmühlenhaft wird wiederholt, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Die Aufnahme vieler Geflüchteter würde die AfD stärken. Als könne die AfD damit bekämpft werden, dass ihre Forderungen erfüllt werden. Die Bevölkerung würde mit einem erneuten Flüchtlingszuzug überfordert, wird behauptet. Dabei haben 140 Städte und Kommunen zugesagt, Geflüchtete aufzunehmen, und 291.000 Menschen haben die Petition „Leave No One Behind“ unterschrieben (Stand vom 5. April 2020).
Götz Eisenberg schreibt in seinem Buch „Zwischen Arbeitswut und Überfremdungsangst“: „Geschähe die Massenmigration innerhalb einer solidarischen Welt, in der gegenseitige Hilfe und Beistand für die Schwächeren oberste Prinzipien wären, wäre das Ganze wahrscheinlich kein Problem. […] Was verbindet all die über den Globus verstreuten Individuen? Die Tatsache , dass sie Menschen und damit letztlich Brüder und Schwestern sind. We are all waves of the same sea.“
Halten wir die Faschisierung und die Barbarei an den Außengrenzen nicht auf, wird es Folgen im Innern Europas geben, der schon vorhandene Rechtsterrorismus wird gestärkt werden.
Folgende Forderungen müssen umgesetzt werden:
– die sofortige Evakuierung aller Menschen aus den griechischen Lagern
– Schutzmaßnahmen gegen den Corona-Virus für alle Migrant*innen
– Stopp der staatlichen Gewalt an den Außengrenzen, Entmilitarisierung der Grenzen
– Beendigung des EU-Türkei-Deals
– Wiederherstellung des Asylrechts
– Einhaltung geltender Völker-, Menschen- und Europarechte
– Aufnahme von Menschen in den solidarischen Städten
– Ende einer Politik, die andauernd Fluchtursachen produziert
Offener Brief des Flüchtlingsrats Hamburg
MISSION LIFELINE: „Die Situation im Camp Moria ist verheerend, eine ordentliche Versorgung der Geflüchteten ist nicht möglich. Hier leben zwischen 22.000 und 25.000 Menschen in einer Anlage, die für 3000 konzipiert wurde. [ …] Alle leben im Dreck. Es gibt weder ausreichende WC-Anlagen noch Duschen. […] Wir sagen daher: Schluss damit! Wir müssen hier und jetzt handeln! Jede Sekunde gefährden wir Schutzbedürftige, während in Deutschland und Österreich angemietete Asylheime leerstehen.“
Missionsleiter David Pichler aus Moria am 8. März 2020
MISSION LIFELINE hat ein Flugzeug, mit dem gefährdete Menschen aus den griechischen Lagern geholt werden können. Es fehlt die Flugerlaubnis der Regierungen. Wir können MISSION LIFELINE unterstützen, indem wir an die Bundestagsabgeordneten schreiben.
Start- und Landeerlaubnis für Evakuierung aus Lesbos
Ärzte ohne Grenzen fordert die Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln. „Die Menschen auf Lesbos haben genau das gleiche Recht auf Versorgung, auf Gesundheitsversorgung und auf Hilfe wie jeder Mensch in Deutschland“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland.
Die EU muss diese Menschen so schnell wie möglich aus Moria herausbringen
Zu den Zielen dieser Bewegung gehört gleichermaßen die sofortige Evakuierung der Lager auf den ägäischen Inseln wie die bestmögliche medizinische Corona-Versorgung für alle Menschen in Europa.
„Weltweit warnen Hilfsorganisationen vor einem Massensterben, wenn sich das Virus in Flüchtlingslagern und Internierungseinrichtungen ausbreitet“ (taz vom 19. März 2020).
Es darf kein Recht zweiter Klasse geben (Deutschlandfunk vom 20. März 2020)