Die unsolidarische Gesellschaft, der Neoliberalismus und die extreme Rechte
Ein Diskussionsbeitrag von Attac Hamburg
Seit vielen Jahren erleben wir in Europa den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der extremen Rechten, häufig auch Rechtspopulismus genannt. Die Liste der Parteien (die mittlerweile zum Teil an Regierungen beteiligt sind) und der Bewegungen auf der Straße ist lang. Auch klassische Konservative innerhalb der Christdemokratischen Deutschen Union beteiligen sich an der Meinungsmache, und die öffentlich-rechtlichen, sowie den Mächtigen dienenden privaten Medien sind an erster Front mit dabei. „Europas Grenzen seien bereits in der Sahara zu verteidigen“, „der Ausländerkriminalität müsse man Herr werden“ oder „eine Obergrenze für die Flüchtlingseinwanderung“ einführen. Dies soll dem geneigten Wähler*innen wieder ins angestammte Politlager zurückholen. Die Kritik, dass die Parolen der Rechten dadurch salonfähig gemacht werden, wird – so scheint es – als „Kollateralschaden“hingenommen. Der Aufstieg der Rechtsnationalisten wird oft auf die Flüchtlingsbewegungen des Jahres 2015 zurückgeführt. Um dies zu überwinden, schließt die deutsche Regierung Abkommen mit Diktatoren und undemokratischen Regimen in Afrika und der Türkei. Es soll verhindert werden, dass Flüchtlinge überhaupt erst an die europäischen Grenzen kommen.Dabei wird übersehen, dass der Aufstieg der Rechten in Europa viel früher begann.Sowohl AfD als auch z.B. die FPÖ waren schon vor der sogenannten Flüchtlingskrise erfolgreich. Die ersten Demonstrationen von PEGIDA fanden schon vor dem „Sommer der Migration“ 2015 statt. Was sind also die wirklichen Ursachen für die Erfolge der Rechten?Die Antwort darauf ist nicht ganz einfach, denn es gibt nicht nur den einen Grund.Rassismus und menschenfeindliche Einstellungen sind darüber hinaus schon sehr lang ein unserer Gesellschaft präsent. Die neuen rechten Bewegungen haben diese nur neu belebt, nicht erfunden.Es gibt jedoch eine wesentliche Voraussetzung, die den Aufstieg der Rechtspopulisten ermöglichte. Es ist die unsolidarische Wirtschafts- und Sozialpolitik, mit anderen Worten die neoliberale Politik, die in allen westlichen Staaten seit den 70-er-Jahrenbetrieben wird.Die Verdrängung des Staates aus gemeinnützigen Einrichtungen und aus ganz- oder halbstaatlichen Betrieben, solle die Rentabilität und Funktionalität steigern. Weniger Staat sei gleichbedeutend mit mehr Mitbestimmung der Menschen und würde zu mehr Demokratie führen, so die These eines der Vordenker des Neoliberalismus, von Hayek. Es hat sich aber das Gegenteil herausgestellt. Die Arbeitnehmer*innen- und Mitbestimmungsrechte in allen Bereichen wurden sukzessive abgebaut.Einnahmedefizite in diesen Einrichtungen und Betrieben waren zwar vorhanden, in der Bevölkerung gibt es aber einen breiten Konsens, diese durch eine entsprechende Kostenumverteilung auf die vorhandenen Sozialsicherungssysteme oder durch den Einsatz von Steuermitteln auszugleichen. Eine Kürzungs- oder Austeritätspolitik, die diese Defizite durch eine gesetzliche Regelung begrenzt, wurde als Mittel zur Erreichung der Privatisierungsstrategie der öffentlichen Daseinsfürsorge geschaffen und sogar in die Nationalen Verfassungen der EU-Mitgliedsländer sowie der deutschen Bundesländer manifestiert.Die Kürzungspolitik hat in Teilen Europas zum Niedergang von Volkswirtschaften, zu Arbeitslosigkeit und zur Verarmung der Menschen geführt. Die massive Konkurrenz,nicht nur der Unternehmen, sondern auch der Menschen untereinander, führt zu einem starken Konkurrenzdruck. Das Land mit den niedrigsten Löhnen und niedrigsten sozialen Standards gewinnt. Wer seine Arbeitskraft am günstigsten anbietet bekommt den Job.Es ist also kein Zufall, dass Deutschland der Gewinner ist, denn Deutschland hat seine Lohnstückkosten seit Beginn der Währungsunion 2002 doch besonderes stark gesenkt,entgegen der Absprachen mit seinen „Partnern“ auf dem Kontinent (siehe Tabelle:Entwicklung der Lohnstückkosten im Euroraum)Tabelle: Entwicklung der Lohnstückkosten im Euroraum
Heute geht es vielen Menschen in Deutschland und erst recht in anderen Staaten der EU materiell schlechter, als noch in den 70-er, 80-er und 90-er Jahren. Es sind deutlich mehr Menschen von Einkommensarmut betroffen. 1991 waren es in Deutschland etwas mehr als 11 Prozent, 2015 schon 16,8 Prozent. Ein verschärfender Faktor ist die Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Zum Beispiel wurden große Teile des staatlich subventionierten Wohnraums privatisiert, was folglich zu einem Anstieg der Mietpreise führte und weiterhin führt. Arme Haushalte mit weniger als 1.300 Euro Nettoeinkommen müssen zum Teil 46% Prozent Ihres Einkommens für die Wohnmiete aufbringen.Verstärkend wirkt die Entwicklung der rechten Kräfte in den „neuen“ deutschen Bundesländern, der wirtschaftliche Abstieg durch die Vereinnahmung und Zerschlagung der Betriebe ohne sozialverträgliches Konzept nach der Wiedervereinigung. Es wurde so gut wie nichts gehalten was den neuen Bundesbürgern für Ihre Zukunft versprochen wurde, insbesondere die blühenden Landschaften, von denen Helmut Kohl sprach. Die Betriebe wurden ohne Befragung der Eigentümer*innen unter Wert verkauft, ohne Rücksicht auf die Arbeitsplätze der Menschen. Eine Erhaltung großer und rentabler Betriebe wurde nicht in Erwägung gezogen. Heute ist der Missbrauch der Treuhandanstalt zu Gunsten westdeutscher Investoren dokumentiert und offenkundig. Betriebe mit erheblichen Immobilienwerten wurden an westliche Investoren verscherbelt. Mit dieser Deindustralisierung wurden die Einkommensunterschiede und das Pro-Kopf-Vermögen zu Gunsten der westdeutschen Bundesbürger*innen zementiert. Im Osten liegt das Pro-Kopf-Vermögen zum Beispielbei rund 8.000 Euro, im Westen bei 21.000 Euro.
Dagegen gibt es Minderheiten, die Ihr Vermögen stetig erweitern und als Gewinnerdieser ausbeuterischen Lage hervorgehen. Von 2017 auf 2018 stieg die Zahl derMilliardär*innen in Deutschland, zum Beispiel, von 117 auf 123. Sogar die Finanzkrise2008 hat der Vermögensentwicklung keinen Abbruch getan, da die Verursacher über die Bankenrettung gut abgefedert waren. doch einen Beitrag hätten leisten müssen.Die Umverteilung von unten nach oben läuft somit unverändert weiter.Die rechten Parteien in Frankreich, Österreich und Italien konnten bereits in den 80-erJahren größere Erfolge verbuchen. In Deutschland gab es mit den Republikanern zwar eine Partei, die kurzfristig Wahlerfolge hatte, danach aber wieder von der Bildfläche verschwand. Ebenso erging es dem Bund Freier Bürger in den 90-er Jahren.Insbesondere den Bund freier Bürger kann man als eine Vorläuferin der AfD bezeichnen. Allen diesen Parteien war gemeinsam, dass sie sich dem Wirtschaftsliberalismus verschrieben und diesen mit einem extremen Nationalismus verbunden haben. Eine neue verstärkte Dynamik auf dem rechten Rand ist seit 2009/2010 zu beobachten, seit der großen Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/2009. Wie viele Wirtschaftskrisen, bot auch diese, den rechten Kräften neue Chancen, indem sie als Antwort auf die Krise nationalistische und fremdenfeindliche Parolen entgegneten.Insbesondere die AfD trat in ihrer Entstehungszeit als Kritikerin der europäischen Krisenpolitik auf und profitierte von einer nationalistischen Krisenerzählung, die z.B.die SüdeuropäerInnen als faul und verschwenderisch darstellte. Die Bielefelder Studie „Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände“ von Andreas Zick (2016) verzeichnet in Deutschland einen Anstieg von Rassismus ab 2003, welcher also mit den neoliberalen Zumutungen der Agenda 2010 zusammenfiel. Einen erneuten Anstieg gab es dann ab 2009 mit der Wirtschaftskrise.Zugleich stellen die ForscherInnen einen Zusammenhang zwischen neoliberaler Ideologie und der sog. gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit her, wie die Abwertung von Minderheiten. Rassismus wird demnach häufig über den Umweg der neoliberalen Ideologie vermittelt und verbindet sich mit dieser, ganz im Sinne der rechten Parteien, deren Programmatik genau diese Verbindung beinhaltete.Dies bedeutet, dass sich die rechten Parteien nicht nur dem Wirtschaftsliberalismus verschrieben haben, sondern auch zugleich von einer Ideologie profitieren, die zu immer größerer Ungleichheit führt und geführt hat.Dieser Effekt scheint allerdings in den letzten 2-3 Jahren zurückgegangen zu sein, sodass Rassismus nun verstärkt direkt geäußert wird. Dies fällt mit einer Radikalisierung im Lager der AfD-SympathisantInnen zusammen und ebenfalls damit, dass der einflussreiche rechte Flügel der Partei die soziale Frage in den Fokus rücken möchte.Insbesondere um die Sozialdemokratie zu beerben. Diese rechte Sozialpolitik ist natürlich kein Kampf im Sinne der Lohnabhängigen, sondern besteht in nationalistischen Lösungen wie z. B. einer „Zusatzrente nur für deutsche NiedriglöhnerInnen“ und einer Ablenkung auf Feinbilder wie EU und EZB.Doch einerlei wie die Auseinandersetzungen innerhalb der Rechten ausgehen werden,war und ist die unsolidarische, auf totale Konkurrenz ausgerichtete Gesellschaft eine Hauptursache für die gegenwertigen Erfolge der extremen Rechten.Wenn wir die extreme Rechte erfolgreich zurückdrängen wollen, ist es einerseits notwendig, die Rechten und ihre menschenfeindliche Ideologie anzugreifen und sich ihrem Rassismus entgegenzustellen, wie es zahlreiche antirassistische und antifaschistische Initiativen bereits tun. Dies wird aber allein nicht reichen, denn wenn das Erstarken der Rechten das Ergebnis der unsolidarischen, neoliberalen Gesellschaft sind, so kommen wir nicht umhin, uns auch mit dieser unmenschlichen Wirtschaftsform auseinander zu setzen.Wir müssen auch der Ungleichheit in der Gesellschaft entgegentreten und uns für eine soziale Wirtschaftsordnung einsetzen. Wir sind solidarisch mit allen, die sich gegen weiteren Sozialabbau wehren. Wir sind uns aber bewusst, dass wir nicht einfach zum alten Sozialstaat der 70-er Jahre zurückkehren können, welcher in erster Linie auf die männlichen Vollzeitarbeitnehmer zugeschnitten war. Wir können die feministischen und migrantischen Kämpfe seit dieser Zeit nicht ignorieren.